Mit den vielen neuen Seen rund um Leipzig sowie in der Lausitz sind die MĂśglichkeiten fĂźr den Wassersport im Freistaat in den letzten Jahren explodiert. Trotzdem fĂźhrt der Segelsport ein Nischendasein â noch.
Frank Hommel ¡ Artikel aus Freie Presse ¡ 5. September 2020 ¡ Seite 2LEIPZIG/PĂHL â Stehen die Segel perfekt im Wind, ist das an Bord sofort zu spĂźren. Der Wind drĂźckt dann nämlich den Mast zur Seite. In der Folge neigt sich auch das Boot. Es krängt, wie die Segler sagen. Und dann, unmerklich fast, nimmt es Fahrt auf. Als wĂźrde eine Geisterhand daran ziehen. Je stärker die Krängung, umso grĂśĂer die Kraft. Und folglich die Geschwindigkeit. Die Focksegel flattern nicht mehr nervĂśs wie Fahnen im Wind. Straff gespannt bieten sie ihm vielmehr die ideale Angriffsfläche. Stille legt sich Ăźber das Boot. Nur das Gurgeln am Heck, der Druck des Wassers auf das Ruderblatt und der gelegentliche Blick zum Ufer weisen auf das Tempo hin.
Doch diese Geschwindigkeit zu halten ist gar nicht so leicht. Die Segler mĂźssen Route und unbeständige Winde genau im Blick behalten. Aufs genaueste werden die Segel mithilfe von Seilen ausgerichtet. Eine Mischung aus Schach und Formel 1 sei das, sagt Reinhard W. Bläser, Präsident des Segler-Verbands Sachsen. Geist wie KĂśrper seien gefordert. âWenn Sie segeln, brauchen sie alle Sinne.â Bei der Regatta versuchen die Segler zudem, Taktik und Kurs der anderen Bootsbesatzungen zu erahnen, LĂźcken zu nutzen. Jeder Handgriff muss sitzen, jede Ungenauigkeit kostet Zeit und Geschwindigkeit. So, sagt Bläser, fĂźhlt man sich beim Segeln wirklich frei: Alle Konzentration gilt dem Hier und Jetzt, alles andere â Job, Alltag, Gestern, Morgen â wird ausgeblendet.
âSegeln ist Fehlervermeidungâ, sagt Raimund Otto. Vor fĂźnf Jahren erst segelte er zum ersten Mal, zufällig, im Urlaub. Es packte ihn sofort. Inzwischen sitzt Raimund Otto im Vorstand des Cospudener YachtClub Markkleeberg, steuert sein eigenes Boot Ăźber den Cospudener See sĂźdlich von Leipzig. An diesem Tag Ende August kann er es gemĂźtlich angehen lassen. Der Verein veranstaltet ausnahmsweise einmal keine Regatta, sondern hat Mitglieder des Leipziger Blinden- und Sehbehindertenverbands eingeladen. Es ist die 1. Mitteldeutsche Segelwoche. Der Segler-Verband will damit aus dem Schattendasein treten. Und so gibt es auf knapp einem Dutzend Segelrevieren in Sachsen und darĂźber hinaus neben Regattas und Trainingslagern auch Aktionen wie diese, die den Segelsport der Allgemeinheit nahe bringen sollen.
Auf Raimond Ottos Boot hat Falko KannegieĂer das Steuerruder Ăźbernommen. Mit 30 Prozent Sehkraft kann er die Landmarken wie den Aussichtsturm am Seeufer noch erkennen und hält das Boot auf Kurs. Andere Betroffene steuern die Boote nach GefĂźhl, nach dem Widerstand, den sie am Ruder verspĂźren. Wo der Kurs hinfĂźhrt, das sehen sie nicht. Und dennoch genieĂen sie die Fahrt Ăźber den einstigen Tagebau, hĂśren das Plätschern der Wellen gegen den Rumpf, spĂźren, wenn das Boot Fahrt aufnimmt.
Segelverbands-Chef Bläser hĂśrt das gern. Er hatte die Mitteldeutsche Segelwoche organisiert. Nun hofft er, dass sie nachwirkt. âDie Bilanz fällt absolut positiv ausâ, sagt er. âWir haben viel Zuspruch erfahren.â Zur Abschlussregatta waren 136 Boote auf dem Cospudener See. âBei der ersten Kieler Woche waren es gerade mal 20 Booteâ, sagt Bläser augenzwinkernd. Das war freilich 1882. 138 Jahre später ist die Kieler Woche eines der grĂśĂten Segelsportereignisse der Welt. Ob die Mitteldeutsche Segelwoche in 140 Jahren eine ähnliche Prominenz entwickelt haben wird? Die MĂśglichkeiten im Freistaat sind in den vergangenen Jahren jedenfalls explodiert â dank der vielen gefluteten TagebaulĂścher rund um Leipzig sowie in der Lausitz. Wo einst die Bagger Braunkohle wegbaggerten, locken heute die grĂśĂten Seen Sachsens. Sie heiĂen Bärwalder, Partwitzer, Zwenkauer oder Berzdorfer See. Viele sind namhafte Segelreviere. Der Verband wächst kontinuierlich und zählt heute 2500 Mitglieder. Das klingt nach einer stolzen Zahl. âAber allein der Segelverein in LĂźbeck beispielsweise hat genauso vielâ, sagt Bläser.
Doch der Verbandspräsident will mehr. Ideen, Segelsport an die Schulen zu bringen, hat er ebenso im Kopf wie Pläne fĂźr ein Leistungszentrum am Zwenkauer See in der Schublade. âDie Voraussetzungen sind geschaffenâ, sagt Bläser mit Blick insbesondere auf das Leipziger Neuseenland, das allein 40 segeltaugliche Gewässer umfasst. âNun mĂźssen wir den Segelsport ins Bewusstsein der Menschen bringen.â
In den traditionellen Revieren verfolgt man die Entwicklung etwa rund um Leipzig genau. Und so registrierte Rudolf Beer, Vorsitzender der Segelsportgemeinschaft Mylau im Vogtland, mit Genugtuung, dass auch sein angestammtes Vereinsrevier, die Talsperre PĂśhl nämlich, bei der Segelwoche eine gewichtige Rolle spielte. Er hoffe, dass das in Zu kunft so bleibe, richtet Beer schon mal einen Appell in Richtung Segelverband. Bläser ist sich der Thematik wohl bewusst. âWir mĂźssen schon aufpassen, dass wir die traditionellen Segelreviere nicht abhängenâ, sagt er. Sorge macht insbesondere, dass bei Zunahme der Trockenheit die Wasserstände in den Talsperren sinken â und die Segler dort buchstäblich auf dem Trockenen sitzen. Aber was die Mitgliederentwicklung angehe, seien etwa an der PĂśhl keine groĂen Verluste in Richtung Leipzig zu beobachten.
Das bekräftigt auch Vereinschef Beer. Den Mylauern kam bisher nur ein Mitglied wegen des Leipziger Neuseenlands abhanden. Das werde auch erst einmal so bleiben, glaubt Beer. Denn während sich die Talsperre PÜhl längst harmonisch in die Umgebung einfßge, sehe das Umfeld vieler Leipziger Seen mit dem kargen Bewuchs und der ausgeräumten Landschaft noch auf Jahre hinaus nach Tagebau aus.
FĂźr den Cospudener See gilt das freilich nur bedingt. Vor 20 Jahren geflutet, wirkt er vom Wasser aus längst idyllisch. Nur Raimund Otto hat dafĂźr gerade keinen Blick. Die Vereinskollegen haben dann doch eine kleine Regatta mit den Blinden an Bord verabredet, und so ist Skipper Otto vom Wettkampffieber gepackt. Es gilt, die Zeit zwischen zwei Bojen zu messen. Und ausgerechnet jetzt lässt der Wind nach. Otto setzt ein weiteres Vorsegel, Gennaker genannt. Falko KannegieĂer richtet das Steuerruder aus. Otto stoppt die Zeit. Es wird am Ende die schnellste der gut ein Dutzend Boote auf dem Wasser gewesen sein.
LUST AUF SEGELN? Unter www.segeln-sachsen.de ist eine Auflistung der Segelvereine zu finden. Viele Vereine bieten ihren Mitgliedern Boote zum Ausleihen an, sodass der Einstieg in den Segelsport auch ohne groĂe finanzielle Mittel mĂśglich ist. Einfache Jollen und Kielboote sind gebraucht teils schon ab 1000 bis 2000 Euro erhältlich. Nach oben gibt es freilich keine Grenzen. Ein Segelschein ist nicht zwingend erforderlich, eine entsprechende Ausbildung aber angeraten.
Frank Hommel ¡ Artikel aus Freie Presse ¡ 5. September 2020 ¡ Seite 2
Fotos in der Freien Presse: Uwe Mann